Es wird oft behauptet, dass Fische sich im Wasser am wohlsten fühlen.

Wasser sei ihr Element, es sei ihr Leben.

Doch, wie es scheint, hört die Natur in einigen Fällen nicht auf alles, was behauptet wird.

Es scheint vielmehr so, dass alles, was man tun kann, irgendwann auch wirklich getan wird, ungeachtet dessen, ob es sinnvoll ist oder nicht.

Einige Sachen sind sicherlich sinnvoll, wie zum Beispiel das aufrechte Gehen bei uns Menschen, denn es hat uns zweifellos viele Vorteile gebracht. Dazu allerdings auch einige Nachteile, wie das schmale Becken, das natürliche Geburten deutlich erschwert.

Natürlich will jedoch auch aufrechtes Gehen gelernt sein. Und wir können uns meistens nicht mehr daran erinnern, wie wir es gelernt haben.

Wir können uns einfach nicht mehr an die Zeit zurückerinnern, als wir noch nicht laufen konnten.

Doch diese Zeit gab es definitiv. Denn wir mussten zuerst lernen, aufzustehen. Die Hand ausstrecken, greifen, uns hochziehen.

Dann rein zufällig entdecken, dass es möglich ist, einige Sekunden lang stehen zu bleiben. Wirklich nur ganz kurz, denn unsere Fußgelenke, unsere Knie und unsere Hüfte mussten es erst lernen, miteinander zusammenzuarbeiten.

Den Körper dann auch noch in Bewegung setzen, Gewicht verlagern, Balance halten, nach vorne schauen, während man das ganze Orchester Schritt für Schritt mühevoll aufeinander einstimmt.

Aufrechtes Gehen ist also ein ziemlich komplexes Unterfangen. Schade, dass wir uns nicht mehr daran erinnern können, wie wir es gelernt haben. Wer weiß, wozu es uns sonst noch hätte motivieren können…

Etwas, das eines Tages sehr kompliziert war, kann also an einem anderen Tag plötzlich sehr einfach für uns werden. So einfach, dass wir sogar vergessen können, wie schwierig es am Anfang war.

Doch der Fortschritt ist nicht immer einfach. Und auch nicht immer sinnvoll, denn die Natur scheint manchmal dazu zu neigen, etwas auszuprobieren, einfach um zu schauen, was dann passiert.

Vielleicht war das auch mit den Fischen eines Tages der Fall.

Und wenn du magst, kannst du dir gerne einen kleinen Fisch vorstellen, der gerade im Wasser hin- und herschwimmt.

Der Fisch ist wirklich klein. Und der See, in dem er sich befindet, ist auch klein. Viel kleiner, als er noch vor einiger Zeit war.

Es gab in ferner Vergangenheit mal Phasen, in denen das Wasser an vielen Stellen knapper wurde. Aus einem großen See wurden beispielsweise viele kleine Seen, die wiederum oft zu vielen noch kleineren Pfützen wurden.

Einige Fische haben gelernt, sich von einer Pfütze zu der anderen zu bewegen, in der Hoffnung, dass die andere Pfütze größer ist und mehr Überlebenschancen bietet. Manchmal war das auch so und sie überlebten dadurch wirklich.

Auf diese Art und Weise gingen die Fische ans Land. Es war für sie eine ganz neue Erfahrung, sehr kompliziert und oft lebensgefährlich. Sie machten also etwas Lebensgefährliches um dadurch zu überleben, das scheint es also auch manchmal zu geben.

Der kleine Fisch hat es auch in mühsamer und für ihn unangenehmer Fleißarbeit gelernt, erst einige Sekunden lang den Kopf über Wasser zu halten, sich in seichtem Wasser hin- und her zu bewegen, mit sumpfigen Untergründen klarzukommen, dann ans Land zu schwimmen und sich sogar mit Hilfe der Flossen kurz aufzurichten.

Erst ganz vorsichtig, dann immer selbstsicherer. Irgendwann konnte er das eine für ihn ausreichende Zeit lang, und das sogar fast schon ganz selbstverständlich, schließlich machten alle um ihn herum ja auch das Gleiche.

Es machte ihm sogar irgendwann stellenweise Spaß, brachte auch eine gewisse Abwechslung in sein Leben. Auch seine Artgenossen verbrachten immer mehr Zeit an Land. Dort war es nämlich viel aufregender, es war einfach viel mehr los.

Doch gleichzeitig merkte der kleine Fisch immer wieder, dass es für ihn auch ziemlich anstrengend war, denn es verbrauchte dabei viele Ressourcen, es kostete ihn viel Kraft.

Ans Land gehen zu können hatte definitiv einen Zweck und bedeutete auch Fortschritt. Doch der kleine Fisch war trotzdem jedes Mal froh, wieder zurück im Wasser zu sein.

Denn Wasser war, wie gesagt, sein Leben.

Er kehrte immer wieder zurück. Um sich zu entspannen und zu regenerieren, um zu schlafen, um sich zu vermehren. Irgendwann merkte er auch, dass das Zeitgefühl im Wasser ein ganz anderes war, denn die Zeit verging dort viel schneller.

So ist es manchmal, wenn man in seinem Element ist.

Und mittlerweile scheinen wir auch zu wissen, wie diese Geschichte ausging.

Einige Fische gingen ans Land und überlebten. Sie wurden zu Amphibien, die wiederum zu Reptilien wurden, aus denen sich Vögel und Säugetiere entwickelten.

Ohne diesen tapferen kleinen Fisch gäbe es uns also womöglich nicht.

Er war in dieser Hinsicht unser Vorfahr, unser Urahn. Doch es war wirklich lange her und auch daran können wir uns mit Sicherheit nicht mehr erinnern.

Aber wir haben viel von ihm geerbt.

Darunter auch den Aufbau unseres Skeletts und unseres Schädels, sogar des Nervensystems. Und auch die sensible Konstruktion unserer feinmotorischen Hände gehört dazu.

Der ganze Aufwand und das Risiko, dass der kleine Fisch auf sich nahm, waren also nicht umsonst. Denn er lebt gewissermaßen in uns weiter. Er ist ein Teil von uns.

Und wer weiß, in dem Moment, in dem wir merken, dass wir mal etwas Auszeit von der täglichen Hektik brauchen, dass wir mal in unser Element zurückkehren und uns dort regenerieren sollten, vielleicht geben wir ihm in diesem Moment etwas Gutes zurück.

Wir geben ihm etwas zurück, das er sich definitiv verdient hat.

Das hast Du gut gemacht, kleiner Fisch.


*Inspiriert von Steffi und dem Buch Der Fisch in uns: Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers von Neil Shubin.


1 Comment on Wie ein Fisch im Wasser

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